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Trettmanns Karriere erinnert in gewisser Weise an jene von Charles Bradley, dem begnadeten Sänger aus New York, der im September 2017 seiner Krebserkrankung erlag. Im hohen Alter gelangte Bradley noch zu Ruhm, nachdem er sich sein ganzes Leben hauptberuflich als Küchenchef in einer Psychatrie verdingte und anschließend infolge diverser Schicksalschläge als James-Brown-Double in kleinen Clubs weit unter seinen Möglichkeiten blieb. Bradley war bereits 63, als sein Debütalbum erschien, Trettmann immerhin 40. Wie Bradley auch ist Trettmann ein Genie, das sich vielmehr selbst zu verkennen schien, als von der Welt verschmäht zu werden. Auch seine Geschichte ist märchenhaft. In jungen Jahren kurz nach dem Mauerfall machte er Urlaub auf Jamaika. Die Musik des karibischen Inselstaats verdrehte ihm den Kopf. Aus dem Urlaubsflirt wurde die große Liebe. Im Homeland der Hüftsteifen und Übellaunigen konnte Ronny Trettmann seine Lieblingsmusik zunächst nur als Persiflage auf die deutsche Szene im ostentativ sächsischen Patois produzieren. Als solcher blieb ihm damit bis auf einen kleinen Sommerhit vor 12 Jahren kein Erfolg beschieden. Erst als er nach seinem ersten Soloalbum angesichts des Aufstiegs von Pegida sein Pseudonym um den Ronny kastrierte und sich eine erfreulich unpathetische Ernsthaftigkeit zu eigen machte, wollte die Welt auch ihn ernst nehmen. Bereits die EPs mit Kitschkrieg, einschließlich der mit dem Berliner Rapper Megaloh, bezeugten eine erstaunliche Entwicklung, im Zuge derer sich Trettmann nicht nur seines Namens entledigte. Aus Trap und Raggae kondensierten sie gemeinsam einen Sound, der frei von Ironie und kalkulierter Peinlichkeit die widerwillige Melancholie auf den Dancefloor zerrte, aber nicht nur von Trettmanns Altersgenossen, sondern auch von Millennials gefeiert wurde. Auf “DIY” schließlich, Deutschraps Konsensalbum des Jahres 2017, zelebrieren er und Kitschkrieg die Kunst, erfolgreich sein eigenes Ding zu machen – aus dem grauen Beton zur Skyline.
10 Songs wie aus einem Guss und doch voller Vielfalt. Ähnlich wie der 187 Straßenbande und RAF Camorra, mit denen er auch auf dieser Platte kollaborierte, geht es ihm auf “DIY” um den Struggle von gestern und natürlich das beste Leben, das sich mit Anerkennung und Geldfluss eingestellt hat. In schlichter Sprache verarbeitet der blasse Dichter mit der Sonnenbrille darüber hinaus auch Schicksalsschläge, schwärmt für seine ersten weißen Sneaker und die schönste Frau im Plattenbau.
Es ist dieser Reichtum an Kreativität, der ihn von den Rappern unterscheidet, die ausschließlich in Klickzahlen und Kontoständen denken, die keine Songs mehr, sondern fünfminütige Blockbuster machen. Er hingegen erzählt sein Leben verdichtet auf Albumlänge. Ein Kunststück in Zeiten von Youtube, Spotify und kollektiver ADHS. Da der Glückliche noch nicht das stolze Alter eines Charles Bradleys erreicht hat, dürfte er seinen Aufstieg zu einem in jeder Hinsicht reichen Künstler noch eine Weile genießen und vielleicht sogar noch weitertreiben. Am 4. und 5. April spielt Trettmann im Astra. Da mittlerweile beide Shows ausverkauft sind, sollte man sein Glück auf Facebook sowohl hier als auch dort versuchen. Einen dritten Termin wie in Köln wird es aller Wahrscheinlichkeit nach nicht geben.
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